Der Umgang mit dem Bestand wird mit der Auffassung eines nachhaltigen Städtebaus präzise geprüft. Die Umnutzung und Weiterentwicklung von erhaltenswertem Bestand stehen dabei an oberster Stelle.

Neben untergeordneten Kleinstgebäuden erzählt der Winkelbau von einer vergangenen Epoche der Stadt und hat städtebaulich-geschichtlich ebenso seine Berechtigung wie Strukturen aus vergangenen Jahrhunderten. Zudem speichert der Bau in seiner enormen Masse soviel Energie, dass wir in der heutigen Zeit die Pflicht haben, das bestehende Potenzial auszuschöpfen.

Für das neue Matthäikirchhof-Areal schlagen wir folgende Schritte vor:

1. Der Winkelbau soll saniert und um eine sich selbsttragende und umlaufende Nutzschicht ergänzt werden. Im neuen Gewand wird dieser Stadtbaustein im Quartier reaktiviert.

2. Der solitäre Archivneubau gliedert den Garten in zwei Bereiche – den Museumsgarten und das Forum der Bäume. Als neuer Ankerpunkt zoniert dieser den Matthäihof.

3. Im Norden bildet sich eine kleinteilige Blockrandstruktur und formt die alte Töpfergasse und die Große Fleischergasse in ihren historischen Kanten neu.

Zusammen mit qualitativ begrünten und differenzierten Außenräumen entsteht somit eine eklektische Komposition, die den Anforderungen aus vergangener geschichtlicher und zukünftig nachhaltiger Verantwortung gerecht wird.

Nutzungsanordnung

Das Gesamtkonzept gliedert das Quartier klar und leicht ablesbar. Entsprechend der Grundidee und der Freiräume sind die Nutzungen angeordnet. In der Blockrandstruktur über dem Kunst- und Kultursockel befindet sich innerstädtisches Wohnen. In den straßenständigen Häusern zum öffentlichen Raum lassen sich klassische Wohnformen realisieren. Entlang der Werkstattgasse sollen darüber hinaus neue Formen des Zusammenlebens erarbeitet und erprobt werden. Nördlich und südlich der Werkstattgasse befinden sich die sonstigen Nutzungen, vor allem das Netz an Werkschaffenden. Eine Kantine oder vereinzelt ein weiteres kulinarisches Angebot ist denkbar. Bildungsorte und Begegnungspunkte bespielen das Erdgeschoss, zwischen der Werkstattgasse und der Agora. Das Erdgeschoss des offenen Hauses wird ebenerdig zu den angrenzenden öffentlichen Räumen geöffnet. Luftige und großzügige Räume invertieren die jetzige abwehrende Haltung des Winkelbaus. Einfache großformatige Nutzungsbausteine gliedern das offene Erdgeschoss in „warme und kalte“ Zonen. Ein Plenum für alle, eine Orangerie oder die Mensa sind Anziehungspunkte für die Leipziger Bewohnerschaft und bilden ein innen- und außenräumliches Foyer für die darüber liegenden öffentlichen Nutzungen im Offenen Haus. Die sekundäre Konstruktion bietet eine neue Ebene an Verbindungen. Außen liegende Treppen fördern Transparenz und Offenheit. Dachterrassen sind für alle zugänglich. Das Ensemble des Forums im Quartierssüden öffnet sich differenziert der Stadt. Ergänzend zur runden Ecke und dem Saalbau befinden sich das neue Archiv und weitere Büroflächen im Solitär.

Bestand

In großen Teilen wird der Winkelbau erhalten, saniert und ergänzt. Um eine Durchlässigkeit zu gewährleisten, muss das Erdgeschoss mehrheitlich sowohl vertikal als auch horizontal geöffnet und eingeschossige Anlagen zurück gebaut werden. Ein Grundprinzip besteht darin, das Areal zu durchgrünen und zu entsiegeln. Gärten speichern Wasser und schaffen Kühle. Urbane Orte ergänzen das innerstädtische Quartier. Bis auf ausgewählte Dachterrassenflächen sind alle Dachflächen als Grün- und Energiedächer ausgebildet.

Freiräume

Die neuen Freiräume des neuen Matthäikirchhofes entfalten sich als kuratierte Abfolge von privaten, halbprivaten, öffentlichen und städtischen Räumen. Diese multifunktionalen Räume fungieren als eine Art choreografierte Symphonie, die die Bewegungen der Nutzerinnen orchestriert und die Hauptachsen innerhalb des Quartiers betont. Darüber hinaus integrieren sie sich in das Geflecht des städtischen Freiraum- und Grün-Systems.

Folgende Prinzipien lenken das Projekt:

Freiraum als Prozess

Der diverse Gebäude- und Freiraumbestand bildet den Ausgangspunkt für eine strategische Herangehensweise in der Freiraumentwicklung durch prozessuale Eingriffe. Ein betreibergestützter Entwicklungsprozess wird eingeleitet, um die Vielfalt der Freiräume schrittweise zu gestalten, Verbindungen zu den umliegenden Stadträumen zu schaffen und bestehende Situationen aufzuwerten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der konsequenten Entsiegelung des vorhandenen Bestands. Ein zirkuläres Materialmanagement wird implementiert, welches sämtliches anfallendes Abbruchmaterial vor Ort sammelt und in den Kreislauf reintegriert.

Freiraumtypologien

Der Gestaltungsansatz entwickelt spezifische Freiräume für die verschiedenen Raumstrukturen. Basierend auf dem vorhandenen Bestand und den neuen Nutzungsanforderungen entstehen hybride Freiraumstrukturen, die nicht nur multifunktional nutzbar sind, sondern auch durch diverse Akteurinnen und Akteure vielseitig aneignungsbar werden.

Regen-Wasser 

Anfallende Regenwasser wird nicht nur konsequent vor Ort gesammelt, gehalten und lokal versickert, sondern dient auch als kreativer Impuls für die atmosphärische Gestaltung der verschiedenen Räume. Durch die Betonung verschiedener Wasserzustände entsteht eine lebendige, natürliche Dynamik, die die Freiräume sinnlich belebt.

Ökologie und Vegetationsmotive

Das Projekt schlägt nicht nur eine breite Palette von Pflanzen vor, sondern erforscht auch experimentell Stadtvegetation. Dabei wird auf spontane und sukzessive Entwicklungen ebenso geachtet wie auf klimasensitive Anpassungen. Die Integration von Klimabäumen und die Schaffung von intimen und dichten Nischen dienen nicht nur der atmosphärisch-räumlichen Vielfalt, sondern auch der Bildung von Habitatstrukturen für eine Vielzahl nicht-menschlicher Bewohner der Stadt. Insgesamt entsteht so eine ökologisch vielfältige und nachhaltige Landschaft im urbanen Raum, die das Bewusstsein für die natürlichen Kreisläufe stärkt und die Biodiversität fördert.

Freiraumtypologien:

Forum der Bäume – der Prozess-Garten

Im Zentrum des Quartiers erstreckt sich der Hofraum zwischen Winkelbau und neuem Archivgebäude. Die wie durch ein Raster aufgeteilte Fläche wird zur Plattform für ökologische Experimente und die Entwicklung einer dynamischen Sukzessionslandschaft. Die bestehende Asphaltdecke wird prozessual durch initiale Eingriffe entsiegelt, und Mosaike für Biodiversität und Räume für Gärtnern und Co-Produktion geschaffen. Der Prozessgarten fungiert dabei als Raum für Austausch und Interpretation, in dem ökologische Nachhaltigkeit auf innovative Weise umgesetzt wird. Durch ständige Veränderungen und Anpassungsfähigkeit wird der Bereich zum Dialogzentrum zwischen alten und neuen Strukturen. Der Prozessgarten ist ein lebendiges Experimentierfeld, das die Balance zwischen Mensch und Stadtnatur erforscht.

Bühne der Demokratie – Schnittstelle Fleischergasse

Das Quartier öffnet sich porös in den Stadtraum der Leipziger Altstadt und aktiviert an dieser wichtigen Schnittstelle das Erdgeschoss als lebendigen öffentlichen Raum. Die freigelegten Träger des Winkelbaus bilden eine städtische Bühne für künstlerische Interventionen, die Licht und Klang nutzen. Diese „Bühnenecke“ wird zur Leinwand für Kreativität und lockt Besucher in die Freiräume des Quartiers. Im Übergang zum Hof entwickelt sich eine verspielte grünen Topografie unter der bestehenden Struktur, die als Bewegungsfläche, Spielplatz und Erholungsbereich fungiert. Die Einbeziehung einer kleinen Bar belebt den Raum und macht ihn zu einem zentralen Anziehungspunkt für Menschen.

Museumsgarten

Auf der gegenüberliegenden Seite des Archivs entfaltet sich ein privater Garten in einem ganz eigenen Rhythmus. Unter Verwendung kleiner topografischer Inseln, die aus dem Schutt der Öffnungen und Einschnitte des Bestandsgebäudes geschaffen wurden, formt der Garten intime Bereiche durch sanfte Wege und kühlende Vegetation sowie Wasserelemente. Die Obstbäume, die diese Inseln zieren, werfen nicht nur kühlenden Schatten auf die Nutzer, sondern rufen auch eine Vielzahl von Vögeln und Insekten herbei, die den Raum mit einer polyphonen Symphonie von Klängen erfüllen. Diese ökologische Wechselwirkung verbessert nicht nur die sensorische Erfahrung, sondern bietet auch eine Lebensraum für diese nicht-menschlichen Akteure und trägt zur Biodiversität der städtischen Landschaft bei.

Auenhof

Verborgen innerhalb der Grenzen des nördlichen Gebäudekomplexes entwickelt sich ein wilder Garten als Verweis auf die geologische und landschaftliche Vergangenheit des Quartiers und von Leipzig als Auenwald. Der Hof fungiert als Fenster zur geologischen Vergangenheit des Raumes und schafft gleichzeitig einen intimeren Raum im Wohnhof. Ein leicht erhöhter Steg verbindet die verschiedenen Bereiche rund um einen wilden tiefer gelegten Senkhof. Der versunkene Garten ermöglicht es dem Betrachter, die Vegetation aus einer anderen Perspektive zu betrachten und gleichzeitig wird hier anfallendes Regenwasser von allen Dach- und Oberflächen gesammelt und lokal versickert.

Werkgasse

Die Werkgasse erweitert das Altstadt-Passagen-System durch Baumpakete aus Klimabäumen. Vor den Gebäuden dienen frei bespielbare Zonen als Interaktionsbereiche und Freiluftwerkstätten für Ateliers und Betriebe im Sockelgeschoss. Hängende Vegetation schafft nicht nur ein luftiges Dach, sondern bereichert auch das Ambiente der Gasse, die somit zu einem lebendigen Zentrum für Begegnungen und kreatives Handwerk wird.

Park-Band, Park-Balkon und Werk-Balkon

Der Park-Balkon folgt elegant der Hauptachse des Parks und verbindet geschickt die offenen Räume mit dem historischen Promenadenring durch die Setzung von zwei kompakten Baumhainen. Der Balkon bieten Panoramablicke auf die Stadt und wird durch informelle Sitzgelegenheiten zu einem zentralen Treffpunkt und Bühne im städtischen Kontext. Der Werk-Balkon dagegen ist dynamisch und vielseitig, ständig im Wandel, um den Aktivitäten der benachbarten Ateliers gerecht zu werden. Er fungiert als Bühne für unterschiedliche Zwecke und verbindet den Richard Wagner Platz mit dem Gelände, fördert damit die Interaktion von Anwohnern, Handwerkern und Besucherinnen.

Freiraum in der Vertikalen, Dachlandschaften

Die verschiedenen Dächer der Bestands- und Neubauten werden sowohl extensiv, als auch partiell intensiv als Dachlandschaften gestaltet. Sie fungieren damit als aktives Wasserrückhaltungs- und Leitungssystem, das Regenwasser einfängt, speichert und gezielt in die umliegenden Gärten verteilt. Speziell das Dach des Winkelbaus entwickelt sich neuen multifunktional nutzbaren Freiräumen in der Stadt und das Dach des Archiv-Gebäudes wird zu einem Habitat und Ort der Biodiversität.

Projekte

  • 934 MTÄ
  • 091 AUG
  • 923 MOO
  • 061 LAN
  • 080 FRO
  • 034 WIL
  • 918 H40
  • 068 EDS
  • 922 NEU
  • 044 ZEP
  • 907 FHM
  • 043 THE
  • 928 SRF
  • 040 ZEU
  • 926 BSN
  • 9O3 SAN
Architekten
Hartinger Koch Tran-Huu Part mbB
Westendstr. 51, 80339 München
+49 89 55 06 73 63
mail@famarchitekten.de

FAM Architekten